HINTERGRUND
Abbau der tiefen autochthonen Rückenmuskeln bei Patienten mit Rücken- und Nackenbeschwerden – Mechanismen und Behandlung durch isolierte Trainingstherapie
Der Prozess der Schmerzentstehung bei v.a. chronischen Beschwerden im Rückenbereich ist sehr komplex. Biologische als auch psycho-soziale Faktoren können entscheidend beitragen. In der Diskussion um Schmerzmechanismen wird jedoch oft außer Acht gelassen, was fast immer als Folge der Schmerzen entsteht – nämlich eine Funktionseinschränkung und ein Abbau der tiefen autochthonen Rückenmuskulatur, v.a. im m. multifidus. Während früher angenommen wurde, dass diese für die Wirbelsäule wichtige Stützmuskulatur v.a. durch Inaktivität und zunehmendem Alter abbaut, weiß man heute, dass es insbesondere als Folge von Mikrotraumen zur einer Muskelhemmung und der sog. „Multifidus Dysfunktion“ kommt, die in den meisten Fällen auch nach der Schmerzepisode anhält und weitreichende Konsequenzen hat.

Abb.1: Anatomie der tiefen lumbalen autochthonen Rückenmuskeln
Spinale Stabilität
Als stärkster Stabilisator der neutralen Zone – etwa 2/3 der Stabilisierungsarbeit in der Wirbelsäule sind darauf zurückzuführen – weist der Multifidus diverse Unterschiede zu anderen Wirbelsäulenmuskeln auf. Insbesondere die tiefen medialen Anteile des Multifidus sind mit vergleichsweise kurzen Fasern (umspannen 2 Segmente) und einer deutlich größeren Querschnittsfläche ausgestattet, wodurch intrinsische Steifigkeit und auf umliegende Strukturen Kompression erzeugt wird. Im Zusammenspiel mit den Wirbelkörpern sowie den Bandscheiben wird so eine intersegmentale Stabilisierung gegen Druck- und Scherkräfte sichergestellt. Die oberflächlichen Anteile des Multifidus, die bis zu 5 Segmente umspannen, sind zusammen mit der Muskelgruppe des M. erector spinae an der Aufrichtung der Wirbelsäule beteiligt. Eine gute Beweglichkeit und gleichzeitig hohe Stabilität zum Schutz des Rückenmarks sowie der Spinalnerven wird durch das perfekt abgestimmte Zusammenspiel zwischen den lokalen Gelenk-Mechanorezeptoren und einer hohen Dichte an Muskelspindeln gewährleistet. Einige dieser Prozesse laufen über die Rückenmarksbahnen ab und nicht über den Motorcortex, weshalb die Ansteuerung der Mm. multifidi nicht der willkürlichen Kontrolle unterliegt. Lediglich die Verarbeitung über das propriozeptive Feedback erfolgt im Gehirn (1).
Multifidus Dysfunktion und reduzierte neuromuskuläre Kontrolle
Bei bereits kleinen gewebsschädigenden Ereignissen werden Mechanorezeptoren im Wirbelgelenk und/oder paraspinalen Muskelspindeln aktiviert. Um eine Überlastung der betroffenen Gelenke oder Muskeln zu vermeiden, verursacht das mechanorezeptive Feedback über die Rückenmarksbahn eine arthrogene (vom Gelenk ausgehende) Hemmung der Multifidusaktivität. Dies bewirkt eine sensomotorische Störung der afferenten und efferenten Informationsverarbeitungsprozesse und eine Einschränkung der segmentalen Kontrolle und Gelenkstabilität. Auch kann dieser Prozess neben verminderter Muskelaktivität zu Müdigkeit und Krämpfen in benachbarten Muskeln führten. Das erklärt unter anderem typische Begleiterscheinungen bei akuten Rückenbeschwerden wie Verspannungen im Bereich der umliegenden Muskulatur.
Oftmals sind solche akuten Ereignisse selbstlimitierend und die schädlichen Auswirkungen lassen sich durch Aufrechterhaltung der körperlichen Aktivität und sanfter lokaler Aktivierung wieder reduzieren. In vielen Fällen bleiben andauernde funktionelle und strukturelle Veränderung des Multifidus (= „Multifidus-Dysfunktion“) auch nach Abklingen der Symptome und über die normale Heilungszeit hinaus bestehen. Die daraus resultierende funktionelle Instabilität ist ein Risiko für weitere Schmerzepisoden, auch der Verschleiß der passiven Strukturen wird deutlich beschleunigt. Zusammen mit veränderten Bewegungsmustern, die sich sogar im Cortex manifestieren, und einem typischen Angstvermeidungsverhalten, scheinen diese Prozesse einen großen Anteil an der Chronifizierung von Beschwerden haben (Abb.1). Einen ähnlichen Effekt kann eine Nervenkompression haben, in dem der Multifidus nicht mehr richtig innerviert und aktiviert wird (1,2).

Abb.2: Pathomechanismus des schmerzbedingten Muskelabbaus
Als finale Konsequenz kommt es im Laufe der Chronifizierung dann fast immer zu einem nachhaltigen lokalen Abbau und einer Verfettung der Muskulatur, die man im MRT diagnostizieren kann. Auch chronische Inaktivität kann zum Abbau der Muskulatur führen, da sich Muskelvorläuferzellen aufgrund fehlender mechanischer Gewebsbelastung zunehmend in Fettzellen differenzieren. Je nach Ursache des Muskelabbaus können bezüglich des Verfettungsgrads unterschiedliche Muster entstehen. Chronische Inaktivität führt zu diffusen Verfettungsmustern während durch Pathologie ausgelöste Verfettung eher punktuell ist. Die Reflexinhibition wirkt sich segmental aus, eine Nervenkompression meist auf mehrere Segmente. Man muss jedoch beachten, dass bei den meisten Patienten mehrere dieser Prozesse gleichzeitig ablaufen und die Verfettungsmuster sehr individuell sind (2).

Abb.3: MRT Darstellung des m. multifidus (grün, MF) eines jungen rückengesunden Individuums. Unten: Pathologische Verfettung (weiße Flächen) der Muskulatur
Konsequenz für die Therapie
Aus diesen Erkenntnissen geht hervor, dass für eine nachhaltige Rückengesundheit die neuromuskulären Muster möglichst schnell wieder hergestellt werden müssen, um eine Chronifizierung der Beschwerden zu verhindern und dem Verschleiß der passiven Strukturen vorzubeugen. Bei solch einem strukturellem Muskelabbau im Bereich der autochthonen Rückenmuskeln benötigt es aus Sicht der Wissenschaft ein intensives isoliertes Widerstandstraining (3,4,5), denn funktionelles Krafttraining hat nachweislich keinen Effekt auf diese Muskulatur (6,7. Da jedoch gleichzeitig diagnosespezifisch trainiert werden muss, um die passiven Strukturen nicht zu überlasten, ist ein systematischer Ansatz nötig, der zum einen standardisiert vorgeht, aber eben auch individuell auf den Patienten eingeht (7,8). Diesen Ansprüchen kann zum aktuellen Zietounkt nur ein maschinenbasiertes und durch eine software gesteuertes Widerstandstraning wie Powerspine gewährelisten. Studien zur Wirksamkeit zeigen, dass die autochthonen Rückenmuskeln wieder aufgebaut werden können und Beschwerden sich deutlich verbessern (6,8,9). Diese Erfolge sind zum einen bei prinzipiell allen Patientengruppen zu beobachten (Abb.4) und die Ergebnisse sind mit einem monatlichen Erhaltungstraining zudem sehr nachhaltig.

Abb.4 Wirksamkeit bei verschiedenen Krankheitsbildern (Köber, 2021; Barth, 2021; Golonka, 2019; Ort, 2019; siehe unter „Publikationen Abschlussarbeiten“)
Literatur
1) Tieppo Francio V, Westerhaus BD, Carayannopoulos AG, Sayed D. Multifidus dysfunction and restorative neurostimulation: a scoping review. Pain Med. 2023;24(12):1341-1354.
2) Hodges PW, Bailey JF, Fortin M, Battié MC. Paraspinal muscle imaging measurements for common spinal disorders: review and consensus-based recommendations from the ISSLS degenerative spinal phenotypes group. Eur Spine J. 2021 Dec;30(12):3428-3441.
3) Hodges PW, Danneels L. Changes in Structure and Function of the Back Muscles in Low Back Pain: Different Time Points, Observations, and Mechanisms. J Orthop Sports Phys Ther. 2019 Jun;49(6):464-476.
4) Steele J, Bruce-Low S, Smith D. A review of the specificity of exercises designed for conditioning the lumbar extensors. Br J Sports Med. 2015 Mar;49(5):291-7.
5) Steele J, Bruce-Low S, Smith D. A review of the clinical value of isolated lumbar extension resistance training for chronic low back pain. PM R. 2015 Feb;7(2):169-87.
6) Fortin M, Rye M, Roussac A, Montpetit C, Burdick J, Naghdi N, Rosenstein B, Bertrand C, Macedo LG, Elliott JM, Dover G, DeMont R, Weber MH, Pepin V. The Effects of Combined Motor Control and Isolated Extensor Strengthening versus General Exercise on Paraspinal Muscle Morphology, Composition, and Function in Patients with Chronic Low Back Pain: A Randomized Controlled Trial. J Clin Med. 2023;12(18):5920.
7) Androulakis-Korakakis P, Gentil P, Fisher JP, Steele J. Comparison of Isolated Lumbar Extension Strength in Competitive and Noncompetitive Powerlifters, and Recreationally Trained Men. J Strength Cond Res. 2021 Mar 1;35(3):652-658.
8) Golonka W, Raschka C, Harandi VM, Domokos B, Alfredson H, Alfen FM, Spang C. Isolated Lumbar Extension Resistance Exercise in Limited Range of Motion for Patients with Lumbar Radiculopathy and Disk Herniation-Clinical Outcome and Influencing Factors. J Clin Med. 2021 May 30;10(11):2430.
9) Domokos B, Dauber L, Reimers H, Andersson G, Alfen F, Raschka C, Spang C. Ultrasound Imaging of Lumbar Multifidus Morphology and Quality–A Prospective Study on Monitoring Acute Adaptations to Specific Exercise and on Reliability. JOSPT Open. 2024;2(4): 354-363